Magazin: Fotogalerie Ikarus 1974 - 2004


von Klaus Schameitat

zum Vergrößern bitte klicken MADE IN HUNGARY - Dieses unscheinbare Etikett zierte über viele Jahre die heimlichen Bestseller auf dem internationalen Busmarkt, von denen man in Westeuropa jedoch kaum Notiz nahm. Ein Beschluss des „Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe“(RGW) hatte im Jahre 1956 Ungarn die Rolle des wichtigsten Autobusproduzenten unter den sogenannten Ostblockstaaten zugewiesen. Fortan erbrachten die bereits 1895 gegründeten Budapester IKARUS-Werke hier einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Weltproduktion: Linien-, Reise-, Werks- und Trolleybusse liefen in den Werkshallen zu Tausenden vom Band. Schließlich stellte allein schon der Bedarf der gesamten Sowjetunion eine gewaltige Herausforderung dar.

Und auch die DDR, die keine eigene Busindustrie besaß, hatte einen jährlichen Bedarf von gut eintausend neuen Bussen. Dort war der IKARUS bald derart dominant, dass der Markenname geradezu ein Synonym für Autobus wurde. Etwa drei Viertel der gesamten Jahresproduktion, die zeitweise bei mehr als 11 000 Stück lag, wurden im Bereich der COMECON-Staaten (Ostblock) ausgeliefert. Dabei nahmen Staaten mit eigenen Busfabriken natürlich kleinere Serien ab, z.B. Polen (mit Eigenmarken Jelcz und Autosan), die Tschechoslowakei (mit Škoda-Karosa) oder auch Rumänien und Bulgarien (mit MAN- und Setra-Lizenzen). Immerhin gelang es auch, eine nennenswerte Stückzahl vorrangig gegen Devisen in nicht-sozialistischen Staaten abzusetzen: etwa im Iran und Irak, in Griechenland und der Türkei, in Tunesien und Libyen. Auch weit außerhalb Europas gehörte IKARUS zum Straßenbild, in Taiwan wie in Teilen Südamerikas, und in den „Bruderländern“ Kuba und Nordkorea sowieso. Als einzige westdeutsche Stadt stellte Hamburg 1973/74 eine Serie von 20 Wagen eines weitgehend standardisierten Sondermodells (IKARUS 190) in Dienst; erst nach dem Wegfall des „Eisernen Vorhangs“ folgte noch Wuppertal 1995/96 mit 23 Bussen (neue Typen IKARUS 405 und 417), von denen die meisten noch vorhanden sind. Insgesamt dürften mehr als 60 Staaten beliefert worden sein.



Die Baureihe 200

Mit allein weit mehr als 200 000 gebauten Exemplaren war die Modellreihe 200 (insbesondere Solobus-Typ 260 und Gelenkbus 280) der absolute Spitzenreiter im Fertigungsprogramm des zeitweise größten Busherstellers der Welt. Die kantigen, überwiegend gelb oder rot-weiß lackierten Fahrzeuge mit großzügiger Verglasung stellten Anfang der 1970er Jahre einen sichtbaren Fortschritt dar. Dabei waren sie mit ihrem rau klingendem Mittelmotor und einem extrem hohen Wagenboden alles andere als behindertengerecht. Von Details abgesehen, wurden sie äußerlich fast unverändert bis etwa zur Jahrtausendwende hergestellt. So erhielt beispielsweise I.E.T.T. Istanbul noch 1992 bis 1994 eine erneute Riesenlieferung von mehr als 1200 (!) IKARUS 260, die im Stadtbild am Bosporus allgegenwärtig waren. Hundert von ihnen liefen sogar mit Erdgas betrieben (in den Stadtteilen auf der asiatischen Seite).

zum Vergrößern bitte klicken Auch in Budapest verkehrten zu dieser Zeit mehr als 1100 Stück IKARUS 260/280. Noch heute sind große Flotten dieses Typs in vielen Ländern im Einsatz, als Beispiel sei der recht gepflegte Fuhrpark der Danziger Verkehrsbetriebe (ZKM Gdansk/Polen) genannt. Im Osten Deutschlands sind einige Einzelfahrzeuge übrig geblieben. Von dem Gelenkbus IKARUS 280 wurden seinerzeit auch über dreihundert Stück als Trolleybusse (280-T) gefertigt oder umgebaut, während es beim Solo-Modell 260-T bei lediglich zwei Prototypen blieb (einer 1974 in Budapest, der andere 1986 in Weimar). In Deutschland verkehrten die letzten IKARUS-Trolleybusse bis Ende 2000 in Eberswalde. Der hier präsentierte Rückblick über 30 Jahre soll in erster Linie den Fahrzeugen der Modellreihe 260/280 gelten.



Ältere Modelle

In den 1970er Jahren, als das Reisen in osteuropäische Staaten einfacher geworden war, begegnete man noch überall einem geradezu abenteuerlich gestylten IKARUS-Modell (IKARUS 66) mit markanter „Heckflosse“: Wie in einem überdimensionierten Lamellenschrank saß dabei der Motor am Fahrzeugheck. Diese bombastischen 50er-Jahre-Fahrzeuge täuschten beim Betrachter große Motorleistung vor, insbesondere waren sie sehr laut und schwerfällig. Nach 1960 tauchte dann ein ausgesprochen elegantes Nachfolgemodell mit Unterflurmotor auf (IKARUS 556) und einige Jahre später ein davon abgeleiteter erster 16,5 Meter-Gelenkbus (IKARUS 180). Beide sollen sich im Alltagsbetrieb nicht besonders bewährt haben. So kam es zur baldigen Weiterentwicklung in Form der oben dargestellten Modellreihe 200.



Neuere Modelle

Trotz neuerer Modelle der zeitgemäßen 400er-Reihe, die seit dem Jahre 1986 auftauchten, ist es seit dem Ende des Sozialismus still geworden um die einstige Weltfirma. Die Umstrukturierung fiel schwer. Die Integration in den Irisbus-Verbund zehrt wohl an der Identität der Marke. Außerhalb des Heimatmarktes Ungarn sieht man nur selten einen IKARUS der letzten Produktionslinie. Und die weit verbreiteten Typen 260 und 280 (siehe oben) werden allmählich ausrangiert. Russland und die Ukraine als einstige Großabnehmer besinnen sich auf ihre eigenen Industrien (z.B. LiAZ, LAZ, MAZ). Ehemalige Ostblockstaaten steigen auf Westfabrikate um, die teils im eigenen Land montiert werden (z.B. MAN in Polen, Scania in Estland). Aus der Kooperation mit Neoplan ist sogar der neue Star unter den Ostfabrikaten (Solaris aus Polen) hervorgegangen, während im IKARUS-Land Ungarn inzwischen mehr und mehr MAN anzutreffen sind. Auch die Anstrengungen der IKARUS-Werke im Sektor Trolleybus scheinen durch den plötzlichen Erfolg der Trollino-Modelle von Solaris letztlich recht erfolglos zu bleiben: Von den knapp 150 bislang hergestellten Solo-Obussen der Modellreihe 400 (Typen 412-T und 415-T) wurden zwar 110 nach Bukarest und 6 nach Tallinn exportiert. Die wenigen Gelenk-Obusse des Typs 435-T verblieben jedoch allesamt in Budapest.



Ein Namensvetter

Nicht alles, was unter dem Namen IKARUS fährt, stammt aus dem berühmten ungarischen Werk in Budapest-Mátyásföld oder dem Zweigwerk in Székesfehérvár. Im jugoslawischen Industrieort Zemun nördlich von Belgrad (heute Serbien-Montenegro) liefen Busse unter zufällig gleichem Namen vom Band. Ihr Aussehen unterscheidet sich aber wesentlich vom ungarischen Fabrikat: Es handelt sich hierbei teils um ältere MAN- und teils um polnische Jelcz-Lizenzen, die auch in geringem Umfang exportiert wurden. Auf der asiatischen Seite von Istanbul verkehrten sowohl ungarische als auch 25 jugoslawische IKARUS nebeneinander. Eine dominierende Stellung auf dem gesamt-jugoslawischen Markt besaß IKARUS-(YU) nicht. Vor allem im Norden, dem heutigen Slowenien, spielte TAM in Maribor schon früher eine große Rolle mit teilweise standardisierten Bussen nach MAN- und Magirus-Vorbildern.



Alle abgebildeten Fotos wurden von Klaus Schameitat zwischen 1974 und 2004 in der DDR, Russland, Estland, Litauen, Polen, Ungarn, Jugoslawien, Griechenland, der Türkei und Tunesien aufgenommen. Einige ältere Dia-Vorlagen zeigen leider verblasste Farben.


| Wir über uns | Seitenanfang | Mail an stadtbus.de |


© 2005