Magazin: Reisebericht Tirana (Albanien)


von Klaus Schameitat

(Mai 2008)

Albanien war Jahrzehnte lang ein geheimnisumwitterter „weißer Fleck“ auf der europäischen Landkarte: als stalinistische Diktatur bis zum politischen Umbruch 1991 völlig von der Außenwelt abgeriegelt, zeitweise gar mit China liiert, für Ausländer nicht bzw. nur unter strengsten Auflagen als Reisegruppe zugänglich. Obwohl praktisch alle Restriktionen aufgehoben wurden und zur Einreise heute lediglich ein Reisepass notwendig ist, blieb Albanien trotz seiner reizvollen Mittelmeerlage wohl das am wenigsten bekannte Land Europas. Das mag an allgemeinem Unwissen, unguten Assoziationen, Vorurteilen oder gar Sicherheitsbedenken liegen. Tatsache ist, dass ein Flug in die albanische Hauptstadt Tirana völlig unproblematisch ist und der Aufenthalt vor Ort überraschend positive Eindrücke vermitteln kann.

Nach dem völligen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung und der weitgehenden Zerstörung der (ohnehin total abgewirtschafteten) Infrastruktur setzte in Albanien eine gewaltige Landflucht ein; in Erinnerung sind sicher noch die Bilder von überladenen Flüchtlingsschiffen in italienischen Adriahäfen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben kamen zehntausende Bewohner ländlicher Regionen auch nach Tirana, dessen Bevölkerungszahl sich binnen weniger Jahre annähernd verdreifachte auf heute schätzungsweise 700.000. Ein relativ kleines und übersichtliches Zentrum ist nun umgeben von einer ausufernden und scheinbar regellosen Ansammlung von Wohnblocks unterschiedlichster Qualität. Viele der primitiven grauen Mietskasernen aus der sozialistischen Epoche wurden auf Initiative des Bürgermeisters poppig-bunt bemalt und tragen so zu einem insgesamt recht farbenfrohen Stadtbild bei. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die auf rascher Expansion und knappen Geldmitteln beruhenden Infrastrukturdefizite (Müllabfuhr, Straßen, Verkehrsregelung, Energieversorgung etc.) noch gewaltiger Anstrengungen zu ihrer Beseitigung bedürfen.


Stadtverkehr Tirana

zum Vergrößern bitte klicken Der Personenverkehr in Tirana fand in sozialistischer Zeit fast ausschließlich mit Bussen statt, die nach Augenzeugenberichten in der Regel völlig überfüllt waren. Der Staat erlaubte keinerlei Privatautos, sogar Taxis durften nur in bestimmten Fällen benutzt werden (in ganz Albanien gab es 1970 nur ca. 3500 PKW!). Nach den spärlichen Fotodokumenten zu urteilen, muss der betagte Bustyp Škoda 706 RTO in ganz Albanien sehr verbreitet gewesen sein, sogar mit Eigenbau-Anhängern. Auch die noch älteren 706 RO sind bezeugt. Gelenkbusse gab es auch, chinesische Fabrikate gehörten seit den 1970er Jahren zum Straßenbild. Im Laufe der 1980er Jahre sind dann zur Deckung des Bedarfs offensichtlich ausrangierte italienische und französische Stadtbusse importiert worden. Einzelne Bilder von damals belegen weiterhin, dass u.a. gebrauchte Mercedes-Benz O 305 und O 305/Vetter-Gelenkbusse nach Albanien gelangt sind. Über Stückzahlen lassen sich keine Angaben machen. Im übrigen gewinnt man den Eindruck, dass bis etwa 1990 selbst in der Hauptstadt so wenig Verkehr gewesen ist, dass man geneigt ist, von einer Fußgängerstadt zu sprechen. Von einer solchen Vergangenheit ist heute absolut nichts mehr zu bemerken.

Die heutigen Stadtbusse in Tirana bahnen sich ihren Weg durch Massen privater PKW (sehr hoher Mercedes-Anteil!). Echte Oldtimer sind nicht mehr im Einsatz. Es handelt sich offenbar ausschließlich um Gebrauchtbusse der frühen 1990er Jahre, die zuvor in Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland und den Niederlanden im Einsatz gewesen waren. Die meisten davon befinden sich in einem noch akzeptablen Allgemeinzustand, wobei die Farbpalette eine Bandbreite zwischen Originalfarben über lila und türkis bis gelb-orange abdeckt. Nicht selten sind noch französische oder deutsche Beschriftungen lesbar. Betriebsnummern werden offenbar nicht oder nicht konsequent benutzt. Eindeutige Zuordnungen der Busse zu einem der offiziell fünf (!) hauptstädtischen Busunternehmen fallen nicht leicht; am ehesten gelingt es über die Linienkonzessionen. Nach ebenfalls offiziellen Angaben kann man von einem Gesamtbedarf (oder -bestand?) von derzeit 141 Fahrzeugen ausgehen. Die relativ geringe Zahl erklärt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass praktisch nur die Hauptstraßen für größere Fahrzeuge benutzbar sind, während die dazwischen liegenden Areale (Wohnblocks) lediglich durch ein regelloses und enges Gassengewirr zugänglich sind. Auch die teilweise illegalen Stadtrandsiedlungen, die seit der politischen Wende entstanden sind, werden vom ÖPNV bestenfalls tangiert. Auf allen festen Linien gibt es ein Bedienungsintervall von 2 bis 3 Minuten, die letzten Busse verkehren gegen Mitternacht. Von einer generellen Überfüllung der Verkehrsmittel kann man heute nicht mehr sprechen. Dabei beträgt der Fahrpreis in der Stadt nur 20 Lek (entspricht 0,16 Euro). Die Fahrtzielanzeigen sind bei allen Bussen mit gut lesbaren, festen Zielangaben überklebt, die jeweils Anfangs- und Endpunkt sowie eine unverständliche Nummer nennen (es könnte sich um eine Wagennummer handeln). Ganzreklame einschließlich der Fensterflächen ist momentan auf dem Vormarsch.

Zu beobachten sind momentan folgende Typen:
- zahlreiche Renault R 312 sowie MAN/Gräf&Stift NL der ersten Generation;
- einige MAN SL und NL, Mercedes-Benz O 405 und O 405 G, Fiat bzw. Iveco;
- vereinzelte Den Oudsten, Škoda-Karosa, Neoplan NL, Heuliez-Midibusse;
- mindestens ein Heuliez-Gelenkbus, Renault PR100, MAN SG, DAF/Hainje, van Hool-Midibus.
Nur in Einzelfällen gelingt die Identifikation der Herkunftsbetriebe (vgl. dazu die Bildunterschriften). Die in Südosteuropa üblichen Sammeltaxis (private Kleinbusse auf bestimmten Strecken) spielen innerhalb der Stadt Tirana offenbar keine Rolle.

zum Vergrößern bitte klicken Innerstädtischer Verkehrsknotenpunkt ist der völlig überdimensionierte und weitgehend leere Skanderbeg-Platz (Sheshi Skënderbej), an dessen Seiten die nahezu einzigen historisch bedeutsamen Gebäude Tiranas stehen. Die Verkehrsregelung hier lässt zu wünschen übrig, insbesondere für Fußgänger. Derzeit ist von einer zeitgemäßen Umgestaltung des Platzes die Rede. Vielleicht werden damit auch die zahlreichen An- und Abfahrtspunkte der diversen Buslinien an einer Stelle gebündelt. Bei den Zielangaben der einzelnen Linien heißt der Platz einfach nur „Qendër“ (Zentrum). Eigentlich ist im Innenstadtbereich alles bequem zu Fuß erreichbar: Die große Hauptachse, der Boulevard, vom historischen Universitätsgebäude über den Skanderbeg-Platz bis zum Bahnhof ist nur knapp zwei Kilometer lang und überdies recht schattig. So kommen für den Tirana-Besucher in erster Linie auch nur zwei Buslinien in Betracht:
- Tirana e Re - Stacioni i Trenit (Neu-Tirana - Bahnhof; als L2 beschildert)
- Unaza (Ringlinie entlang des kanalisierten Lana-Baches; türkisfarbene Busse).


Überlandverkehr und Eisenbahn

Überlandbusse verbinden die Städte und Regionen des Landes. Sie starten an verschiedenen Stellen der Stadt, die ggf. erfragt werden müssen; manche fahren vom Bahnhof ab. Es handelt sich überwiegend um ausrangierte Mercedes-Benz O 303 griechischer Herkunft sowie diverse italienische Modelle, viele davon mit Klimaanlage. In abgelegeneren Landesteilen sollen auch Fahrzeuge aus der ehemaligen DDR (Ikarus?) im Einsatz sein. Trotz großer Verbesserungen setzt der Zustand vieler albanischer Landstraßen der allgemeinen Reisegeschwindigkeit nach wie vor deutliche Grenzen. Man muss bedenken, dass bis Mitte der 1990er Jahre die Landstraßen zum größten Teil nicht einmal asphaltiert waren.

zum Vergrößern bitte klicken Noch wesentlich langsamer ist die albanische Eisenbahn (Hekurudha shqiptare, HSH), die erst seit 1947 existiert und mit ca. 400 Kilometern Streckenlänge lediglich einige wichtige Städte verbindet. Erst seit 1985 gibt es eine Anbindung an das europäische Schienennetz (nach Montenegro). Lange Zeit waren die Züge und Anlagen nur museumsreif, heutzutage sind sie völlig verwahrlost und vielfach sogar unbenutzbar. Einige Dutzend betagte tschechische Dieselloks schleppen auf miserablen Gleisen ausrangierte Waggons aus allerlei Ländern durch das Land: ihre Fenster fehlen zum größten Teil oder sind zertrümmert, und sie tragen die unterschiedlichsten Anstriche. Welch ein Kontrast zu den neuen Werbeplakaten der HSH, die einen flotten Dieseltriebzug zeigen, wie es ihn im ganzen Lande nicht gibt! Der Bahnhof der Hauptstadt Tirana macht einen unglaublich schäbigen Eindruck: zwei Stumpfgleise, von Unkraut überwuchert, dazwischen ein Bahnsteig mit primitivem Betondach, abseits eine düstere Wartehalle, nicht einmal ein Stationsschild - das alles vor der Kulisse moderner Hochhäuser, die überdeutlich den Stadtrand markieren! Man kann wirklich sagen, das Eisenbahnwesen des Landes bewegt sich auf Dritte-Welt-Niveau. Immerhin fährt die albanische Eisenbahn sehr pünktlich, und die extrem niedrigen Fahrpreise sichern ihr offenbar ein gewisses Potenzial an Fahrgästen (z.B. Tirana - Durrës, 36 Kilometer, Fahrtdauer 65 Minuten, Preis 70 Lek = 0,55 Euro).


Der Bericht stellt eine Momentaufnahme von Anfang Mai 2008 dar. Schon innerhalb kurzer Zeiträume muss mit Veränderungen gerechnet werden. Alle Fotos wurden von Klaus Schameitat im Mai 2008 aufgenommen. Eine Weiterverwendung bedarf der schriftlichen Zustimmung.


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