Unterwegs: Warschau 2006 - Ein Oldtimertreffen der besonderen Art


von Christian Triebsch

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Am Wochenende vom 19. bis zum 21. Mai 2006 fand in der polnischen Hauptstadt Warszawa ein Oldtimertreffen der besonderen Art statt: Auf Einladung des Warschauer Nahverkehrsvereines KMKM waren 10 Fahrzeuge des Typs Škoda 706RTO/Jelcz MEX angereist. Neben einem Gedankenaustausch der Vereine und Besitzer sollten die Fahrzeuge eine Attraktion im Linienverkehr anlässlich der "langen Nacht der Museen" darstellen.

Junge Tradition?
Der Shuttle-Verkehr zur „langen Nacht der Museen“ begann im Jahr 2004 mit zwei historischen Fahrzeugen des Vereines KMKM. Im darauffolgenden Jahr wurden mit acht historischen Fahrzeugen und weiteren Linienbussen bereits zwei kostenlose Linien bedient, die die Besucher zu den einzelnen Museen fuhren. Im Jahr 2006 wollte KMKM mit Unterstützung der Stadtverwaltung – die offensichtlich das Potential einer Museumslinie zu den Museen erkannt hatte – einen Großteil der in Europa noch fahrfähigen Fahrzeuge des Typs 706RTO/MEX zur Bedienung der Linien heranziehen. Es wurden Einladungen nach Polen, in die Tschechische und Slowakische Republik, sowie nach Deutschland geschickt. Aus einem anfänglich kleinen Treffen sollte nun also ein „großes“ Typentreffen werden.

Gurke oder Badewanne?
zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Im Jahr 1956 wurde der Škoda 706RTO auf LIAZ-Lkw-Fahrgestell mit Frontmotor erstmals auf der Maschinenmesse in Brno ausgestellt. In den folgenden Jahren ersetzte er in der damaligen Tschechoslowakei den Vorgänger Škoda 706RO. Die Produktion des Fahrzeuges wurde später zum Hersteller Karosa verlagert. Ab 1960 begann der polnische Bushersteller Jelcz mit der Lizenzfertigung des Fahrzeuges auf importierten Fahrgestellen. Bis Mitte der 60er Jahre wurde das Fahrzeug im Strassenbild sehr populär; verschiedene Varianten für Stadt-, Überland- und Reiseverkehr waren im Angebot. Eine Gelenkbusvariante mit dem Namen 706RTO-K wurde ebenfalls entwickelt; die Serienproduktion fand allerdings nie statt, da der Personenanhänger zur damaligen Zeit weitaus populärer war.

zum Vergrößern bitte klicken Um 1965 entwickelte Karosa einen Nachfolger, der neben anfänglicher Parallelproduktion die Baureihe 706RTO Ende der 60er Jahre ersetzte. Formell war also die Produktion beendet. Doch in Polen erfreute sich das Fahrzeug offensichtlich großer Beliebtheit, was dazu führte, dass die Lizenz-Produktion bei Jelcz erst zu Beginn der 80er Jahre eingestellt wurde. Dort realisierte man auch endlich die Gelenkbusvariante. Weiterhin wurde der passende Anhänger P01 im Überlandverkehr zum prägenden Erlebnis für jedes Schulkind dieser Zeit. Ab 1968 wurden Fahrzeuge in die DDR exportiert; sie blieben aber eine Ausnahmeerscheinung wie z.B. sowejtische LiAz-Busse und meist auf bestimmte Regionen beschränkt.

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Nachdem Jelcz in den 70ern mit der Fertigung der französischen Renault/Berliet-Lizenz PR100 begann, zeichnete sich für die Typen 014/021/041/043/272MEX, wie er je nach Ausführung bei Jelcz bezeichnet wurde, ein Produktionsende ab. Die letzten Fahrzeuge verliessen um 1986 als „Halb-Neufahrzeuge“ mit neuen Aufbauten auf gebrauchten Škoda-Chassis die Fabrikhallen.

In der Tschechoslowakei und DDR waren die Fahrzeuge ob ihrer Bauform als „Badewanne“ bekannt, in polnischen Gefilden hingegen nennt man sie liebevoll „Ogórek“, also Gurke. Mit einer Portion Phantasie lässt sich im Profil tatsächlich eine Gewürzgurke erahnen. Aufgrund ihrer langen Bauzeit haben viele dieser Fahrzeuge überlebt, teils in den traditionsbemühten polnischen Verkehrsbetrieben und teils bei engagierten Privatleuten.

Technische Daten 
Länge [mm] / Breite [mm] / Höhe [mm]10.810 / 2.500 / 2.980
MotorisierungDieselmotor Typ Skoda 70RTO, 11,8l Hubraum, 160 PS
Getriebe5-Gang mechanisch, unsynchronisiert

Wo kommen die nur alle her?
zum Vergrößern bitte klicken Erwartet wurden 13 Fahrzeuge dieser Bauart, jedoch kam es bei den tschechischen und slowakischen Teilnehmern zu technischen Problemen, die eine Ankunft in Warszawa nicht zuliessen. Somit waren neben den drei Vereinseigenen „ogórki“ 10 Fahrzeuge angereist, davon eines aus Deutschland. Hervorzuheben sind die Traditionsfahrzeuge aus Poznañ, Kraków, Eberswalde und Warszawa – sie waren mitsamt den einsatzfähigen Anhängern vom Typ Jelcz P01 angereist. Während die ersten drei ihren Erhalt engagierten Busfreunden in den Verkehrsbetrieben verdanken, ist letztgenanntes Fahrzeug aus Privatmitteln des KMKM Warszawa enstanden – gleiches gilt für den zweiten Jelcz 043 und den San H-100.

Doch auch das Fahrzeug von Meteor aus dem schlesischen Jaworzno, aus Szczecin und der Überlandtyp mit einer Falttür im Besitz von PKS Nowy S¹cz waren Attraktionen. Nicht zu vergessen Artur Lemañski aus Bydgoszcz (der private Sammler war mit drei einsatzfähigen Fahrzeugen angereist) und Tomasz Skrzeliñski. Seine „ogórek“ war mit den Schriftzügen einer großen polnischen Hotel- und Reisekette versehen, fährt aber freilich nicht für selbige Firma im internationalen Reisverkehr.

Tradition und Moderne
zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Nach Präsentation der Fahrzeuge im ehemaligen Betriebshof Chelmska für das interessierte Publikum wurde eine kleine Stadtrundfahrt unternommen, um den zahlreichen Fotografen Gelegenheiten für eindrucksvolle Fotos der Fahrzeuge im Warschauer Stadtbild zu bieten. Das direkte Stadtzentrum wurde gemieden – eine Schlange von 10 Fahrzeugen hätte den restlichen Verkehr wohl eher zum drängelnden Hupen denn zum respektvollen Lächeln veranlasst. So führte die Route über die Ausfallstraßen, die jedoch dank zahlreicher Brückenauf- und -abfahrten interessante und moderne Kulissen für die Fotografen boten. Nach der Rückkehr auf den Betriebshof war Zeit für Beratungen zum Linieneinsatz, technische Gespräche unter den Fahrern und erneute Fahrzeugbesichtigungen.

Wo lang?
Gegen 18 Uhr begann für die Fahrzeuge nach und nach der Einsatz auf den fünf Museumslinien. Folgende Museumslinien wurden bedient:

Linie A (10min-Takt)
Plac Bankowy (Bankenplatz) – Muzeum Powstania Warszawskiego (Museum des Warschauer Aufstandes) – Dworzec Centralny (Zentralbahnhof) - Plac Starynkiewicz (Straßenbahn-Freilichtmuseum in der Schleife am Starynkiewicz-Platz)

Linie B (30min-Takt)
Plac Bankowy (Bankenplatz) – Uniwersytet – Muzeum Ziemi (Museum der Erde) – Wilanów

Linie C (15min-Takt)
Plac Bankowy (Bankenplatz) – Centrum – Muzeum Ziemi (Museum der Erde)

Linie D (15min-Takt)
Plac Bankowy (Bankenplatz) – Centrum – Muzeum Narodowe (Nationalmuseum) – Fabryka Trzciny – Uniwersytet

Linie E (15min-Takt)
Plac Bankowy (Bankenplatz) – Stare Miasto (Altstadt) – Centrum Olimpijskie (Olympiazentrum)

Zu wenig Türen?
zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Der Andrang war besonders auf der Linie A riesig; wurde doch das neue Museum zum Gedenken an den Warschauer Aufstand bedient. Die anderen Linien waren ebenfalls sehr gut besetzt – oft reichte der geplante Takt nicht aus, um alle Fahrgäste in einem Fahrzeug transportieren zu können. Eingesetzt waren insgesamt 23 Kurse; 17 davon mit den Oltimerkursen besetzt. Die restlichen Fahrten wurden von Solaris Urbino 10 des Unternehmens MOBILIS durchgeführt, um den Fahrgästen neben dem Erlebnis Oldtimer auch das Erlebnis Niederfluromnibus anbieten zu können.

Dennoch wurden die Oldtimer den neueren Fahrzeugen vorgezogen, wodurch es zur Pulkbildung an den Türen kam. Da war es dann schon etwas problematisch, mit zwei Schlagtüren dem Andrang Herr zu werden. Doch Dank Sicherung der Türen durch die Begleiter des Nahverkehrsvereines konnten größere Schwierigkeiten vermieden werden. Trotzdem – Falttüren sind eindeutig im Vorteil.

Gute Nacht
Gegen 1 Uhr endete die Nacht der Museen und damit auch der Einsatz der Fahrzeuge auf den Linien. Nach Rückkehr auf den Betriebshof hatten sich die Fahrer die Nachtruhe mehr als verdient (und Gerüchten zufolge wurde im Hotel ein Schlummertrunk herumgereicht, der für manch einen die Abfahrt am Sonntag ein klein wenig nach hinten verschoben hat). Sonntag Mittag brachen die ersten Fahrzeuge wieder gen Heimat auf. Adressen waren ausgestauscht und Ratschläge verteilt.

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Ein wahrlich interessentes Treffen – für die Nahverkehrsclubs, die sich über ihre Tätigkeiten austauschen konnten; für die Fahrzeugbesitzer, die sich in Sachen Ersatzteilfragen gegenseitig beraten konnten und nicht zuletzt für die Bürger von Warszawa, die die Fahrzeuge im Linienverkehr mit Begeisterung aufgenommen haben. Es bleibt zu hoffen, dass die Unterstützung dieses Fahrzeugeinsatzes durch den Rat der Stadt im nächten Jahr weiterhin besteht. Denn historische Busse sind Museen auf Rädern und auch wenn Blech nicht reden kann, so ruft es doch beim einen oder anderen verschüttet geglaubte Erinnerungen zurück.


Links zum Thema

www.warszawa.plInformationsportal der polnischen Hauptstadt Warszawa
www.kmkm.waw.plNahverkehrsverein KMKM Warszawa
transport.asi.pwr.wroc.pl/17-266.htmlBilderseite zum Treffen bei transport.wroc.biz
www.pgk.webd.pl/kmpsSchienenfahrzeugklub KMPS Poznañ
www.mpk.krakow.plHomepage von MPK Kraków
infoludek.com.pl/~tramsz/index_d.htmlHistorische Nahverkehrsmittel in Szczecin
www.rto-bus.czRTO-Klub der Tschechischen Republik


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