Unterwegs: Der Nahverkehr in Sibiu und Mediaş (RO)


von Klaus Schameitat

(Oktober 2010)

zum Vergrößern bitte klicken Sibiu (dt.: Hermannstadt) in der rumänischen Region Siebenbürgen war Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2007. Die sehr beeindruckende und in großen Bereichen hervorragend sanierte Altstadt sowie die vorteilhafte Lage im Karpatenbogen machen Sibiu zu einem attraktiven Reiseziel. Mit gegenwärtig knapp 170.000 Einwohnern rangiert Sibiu zwar unter den Städten Rumäniens erst an 15. Stelle, doch eine äußerst erfolgreiche Ansiedlung ausländischer Unternehmen und der moderne Flughafen unterstreichen den Charakter eines bedeutenden Oberzentrums. Insbesondere das Engagement deutscher Firmen und Institutionen hier im historischen Siedlungsgebiet der „Siebenbürger Sachsen“ sowie eine vorbildliche Minderheitenpolitik zeigen sich nicht zuletzt in einer erstaunlichen Verbreitung der deutschen Sprache, obwohl der Anteil der Deutschen nur knapp 2% der Einwohnerzahl beträgt.


Busverkehr in Sibiu

Das örtliche Verkehrsunternehmen, das seit 1990 den Namen „Tursib“ trägt, verfügt derzeit über ungefähr hundert Busse in hellgelber Einheitslackierung. Nur wenige sind mit Werbung beklebt. Der Wagenpark ist heute weitgehend typenbereinigt und besteht aus den Fabrikaten MAZ, MAN und BMC. Hinzu kommen noch einsatzfähige Einzelexemplare von Ikarus, ROMAN und Volvo, die als Zusatzwagen gelegentlich aus dem Betriebshof ausrücken. Beim Fabrikat Volvo handelt es sich übrigens um Gebrauchtwagen mit typisch schweizerischem Aufbau; auch viele andere rumänische Verkehrsbetriebe haben Busse aus der Schweiz übernommen.

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Der ÖPNV im Stadtgebiet präsentiert sich durchaus zeitgemäß, jedoch sind die etwa acht Jahre alten weißrussischen Niederflurbusse der Typs MAZ 103, die mindestens die Hälfte des Wagenparks ausmachen, teils nicht sehr gut gepflegt und weisen bereits allerlei Verschleißerscheinungen auf. Deutlich besser und auf den ersten Blick wohl auch moderner wirken die ebenfalls zahlreichen MAN Lion's Classic, die jedoch einen Rückschritt in der Modellpolitik bedeuten: Trotz des geringeren Alters bieten sie keinen stufenlosen Einstieg. Von diesem Typ sind auch drei Gelenkbusse (die einzigen im Wagenpark) vorhanden. Außerdem gibt es zwei nagelneue MAN Lion's Regio und acht türkische BMC Probus für spezielle Linien mit geringerem Fahrgastaufkommen.

zum Vergrößern bitte klicken Alle Busse ab ungefähr Baujahr 2003 tragen Kennzeichenschilder in Übereinstimmung mit den Wagennummern (z.B. Bus 035 hat das Kennzeichen SB35TSB, wobei SB offiziell für Sibiu und TSB für den Firmennamen „Tursib“ steht). Nur einige ältere Wagen, darunter auch die ersten MAZ, sind einst noch nicht nach dieser Kennzeichensystematik zugelassen worden und tragen nun eine Buchstabenfolge als Wagennummer (!), die sich aus der amtlichen Reihenfolge bei der Vergabe ihrer Kennzeichen zufällig ergeben hat (z.B. erhielten die MAZ-Busse mit den zugeteilten Kennzeichen SB06LKM bis mindestens SB06LKV in seltsamer Konsequenz die Wagennummern LKM bis LKV!). Wagennummern sind auf die Front- oder Seitenfenster aufgeklebt, bei vielen Bussen fehlen sie jedoch. Oft erkennt man außerdem große dreistellige Nummern in einer Art Digitalziffern auf der Lackierung, die offenbar keine Bedeutung mehr haben. Soweit die Beobachtungen es zulassen, ergibt sich derzeit etwa folgende Aufstellung der regelmäßig im Liniendienst eingesetzten Wagen:

LKM - LKVMAZ 103 (3-türig)wahrsch. älteste Serie
003MAZ 103 (3-türig) 
005MAZ 103 (3-türig) 
006(?) 
007 - 014BMC Probus 215-SCB (2-türig) 
015 - 017MAN A75 Lion's Classic (3-türig)Gelenkbus
018 - 019MAN R12 Lion's Regio 
020 - 044MAN A74 Lion's Classic (3-türig) 
045 - 099MAZ 103 (3-türig) 

Alle Standardbusse besitzen die in Osteuropa übliche Abtrennung des Fahrerplatzes mittels einer verglasten Zwischenwand, die von der Vordertür nur einen Türflügel für den Fahrgasteinstieg freilässt. Fahrscheinentwerter gibt es überwiegend in Form primitiver Metallhalterungen mit eingelassenen handelsüblichen Bürostempeln. Der Einheitspreis auf allen innerstädtischen Linien beträgt derzeit 1,50 Lei, was ungefähr 0,35 Euro entspricht. An vielen Haltestellen stehen Verkaufskioske, an denen es außerdem Tageskarten (5,00 Lei) sowie diverse Zeitkarten gibt.

Das Busnetz umfasst seit einer Neuordnung im November 2009 derzeit 12 reguläre Linien und eine Anzahl zusätzlicher Verstärkerlinien (Berufsverkehr) mit vorangestellter Ziffer 1. Die meisten Verbindungen sind Durchmesserlinien, die jeweils via Innenstadt zwei entgegengesetzte Vororte verbinden. Die historische Altstadt ist teilweise Fußgängerzone und wird vom ÖPNV lediglich tangiert. Eine Besonderheit stellt die nur dreimal täglich verkehrende Linie 22 dar: Vom Bahnhof geht die über 30 km lange Fahrt zunächst durch die Nachbargemeinde Răşinari und dann über Serpentinen und Almen hinauf in den 1.440 Meter hoch gelegenen Wintersport- und Kurort Păltiniş (dt.: Hohe Rinne), der administrativ zu Sibiu gehört; der Fahrpreis beträgt 7,00 Lei, also etwa 1,65 Euro. Einen Nachtbusverkehr hat Sibiu nicht, und bereits in den verkehrsarmen Abendstunden muss man sich mit der Unart abfinden, dass manche Busse etliche Minuten zu früh von den Haltestellen abfahren. Als Alternative wählt man dann eines der äußerst preiswerten Taxis (etwa 1,60 Lei pro km).

 


Straßenbahn und Obus in Sibiu

zum Vergrößern bitte klicken Nach einem gescheiterten Obus-Experiment im Jahre 1904 besaß Sibiu von 1905 bis 1983 zwei vom Bahnhof ausgehende meterspurige Straßenbahnlinien, deren Verlauf heute nicht mehr erkennbar ist. Lediglich eine 1950 hinzugekommene Überlandstrecke in die Landgemeinde Răşinari ist verblieben und wird entgegen manchen anderslautenden Meldungen nach wie vor befahren: montags bis freitags alle 30 oder 60 Minuten, am Wochenende mit mehrstündigen Betriebsunterbrechungen. Von den drei vorhandenen Großraum-Triebwagen ex Genf werden nur jeweils einer oder zwei benötigt, die die Gesamtstrecke in etwa 20 Minuten bewältigen und dann nach weiteren 10 Minuten Pause an den Wendestellen (Gleisdreiecke) die Rückfahrt antreten. Die eingleisige Strecke mit Ausweiche ist in schlechtem Zustand, und es wird von gelegentlichen Entgleisungen trotz der geringen Fahrgeschwindigkeit berichtet. Der Fortbestand des Betriebszweiges Straßenbahn erscheint mehr als fraglich, da es sowohl auf Teilstrecken als auch auf der Gesamtstrecke parallele Busverkehre gibt (s.o. Linie 22) und überdies größere Investitionen nötig wären. Die touristisch interessante Fahrt beginnt am großen städtischen Friedhof (Cimitir) ein kurzes Stück hinter der Einfahrt in den Betriebshof der „Tursib“ (Calea Dumbrăvii 133-135 im Stadtteil Cartier Hipodrom 4) und führt u.a. am Freilichtmuseum und Zoo vorbei. Den Fahrpeis von 2,30 Lei kassiert der Fahrer selbst.

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Der 1983 eingeführte Obusverkehr, der damals die Straßenbahn ablöste, wurde kürzlich (November 2009) komplett eingestellt. Die Fahrleitungen sind, außer auf dem inzwischen umgestalteten Bahnhofsvorplatz, weiterhin vorhanden. Dem Vernehmen nach ist an eine Wiederaufnahme des Obusbetriebes mit neueren Fahrzeugen nicht zu denken. Alle zuletzt eingesetzten Obusse, maximal 17 Exemplare, stammen aus der Schweiz (Lausanne, Biel) und sind nun abgestellt im hinteren Teil des Betriebshofes (Fahrleitung durch die Calea Gheorghe Dima). Dort stehen auch mindestens vier ausrangierte Personenanhänger ex Lausanne, die in Sibiu wohl nur kurzzeitig eingesetzt wurden. Wie in manchen rumänischen Städten üblich, sind auch in Sibiu die elektrischen bzw. fahrleitungsgebundenen Verkehrsmittel mit örtlichen Sonderkennzeichen (gelbe Inventarschilder), unabhängig von eventuellen Betriebsnummern, versehen worden.


Regionalverkehr

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Eine der letzten Schmalspurbahnen Rumäniens, die in deutscher Sprache „Wusch“ genannt wurde, führte als Reststrecke noch bis September 2001 von Sibiu durch das schöne Harbachtal bis nach Agnita. Heutzutage muss man den Regionalbus nehmen. Nur damit erreicht man auch die zahlreichen typischen Wehrkirchen bzw. Kirchenburgen der Umgebung, z.B. in Cisnădie (dt.: Heltau), Cisnădioara (dt.: Michelsberg) oder Hosman (dt.: Holzmengen). Auf der Fahrt nach Cisnădie passiert man übrigens im Vorort Şelimbăr direkt an der Straße Nr. 1 ein eingezäuntes Gelände, auf dem zahlreiche Gebrauchtbusse zum Verkauf oder Weitertransport abgestellt sind (überwiegend Volvo B10M/R und MAN A11 ex Bern). Der Bushof des Unternehmens „Transmixt“ für die Regional- sowie einige Fernverbindungen (z.B. nach Bukarest) liegt in Sibiu östlich der Altstadt, direkt neben dem Bahnhof. Der Wagenpark umfasst neben vielen modernen Irisbus-Modellen auch einzelne heruntergekommene Gebrauchtfahrzeuge. Internationale Busverkehre werden vom Unternehmen „Atlassib“ mit eigenem Terminal am Westrand der Stadt durchgeführt (Strada Autogării, hinter der „Petrom“-Tankstelle an der Şoseaua Alba Iulia).

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Für Tagesausflüge innerhalb Siebenbürgens, insbesondere in die Städte Mediaş (dt.: Mediasch, 56 km) und Sighişoara (dt.: Schäßburg, 95 km), bieten sich auch die Züge der Staatsbahn CFR ab Bahnhof Sibiu an. Die Tarife, gestaffelt nach Zugkategorien, sind ausgesprochen günstig (Rückfahrtermäßigung), und zumindest die neuen Desiro-Dieseltriebzüge sind klimatisiert. Unterwegs erlebt man dann die ländliche Seite Rumäniens, die in ihrer Rückständigkeit verharrt: Dorfbahnhöfe, Kirchen, Fabrikruinen, geduckte Häuschen mit Gemüsegärten, Feldwege, einzelne Pferdefuhrwerke. An alte Zeiten erinnert auch eine beachtliche Sammlung historischer Dampflokomotiven beim Bahnhof in Sibiu: Jenseits der Gleise gelangt man rechterhand von der Brücke durch die Strada Dorobantilor zum Lokomotivdepot mit Drehscheibe und Ringlokschuppen. Am Eingang steht zwar ein Schild, das Unbefugten den Zutritt streng verbietet, aber bei Erwähnung des Wortes „Museum“ (darum handelt es sich nämlich offiziell!) wird der Pförtner sicherlich gern den Zutritt gewähren.


Die Situation in Mediaş

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Zum Kreis Sibiu gehört auch die Stadt Mediaş (dt.: Mediasch) mit ihren rund 60.000 Einwohnern. Sie ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt an der internationalen Eisenbahnstrecke Bukarest – Budapest – Wien. Dennoch macht sie einen recht provinziellen Eindruck. Es gibt hier eine hübsche verkehrsberuhigte Altstadt, die man vom Bahnhof zu Fuß in knapp 10 Minuten erreicht. Vor dem Bahnhof halten auch die Obusse des örtlichen Verkehrsbetriebes „Meditur“. Das 1989 aufgebaute Obusnetz umfasst drei kurze Linien, auf denen tagsüber etwa vier Obusse sowie ersatzweise mindestens ein Dieselbus verkehren. Betriebsfähig sind zwei Solo-Obusse von Gräf&Stift (ex Salzburg 105 und 8706) und ein Berliet (ex Lyon 2834), dazu ein Volvo/Hess Gelenk-Obus (ex Biel 80). Weitere Obusse wurden nicht im Einsatz beobachtet.

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Der relativ kleine und gut einsehbare Betriebshof an der Şoseaua Sibiului 100A wirkt eher wie ein Schrottplatz: Neben drei weiteren desolaten Berliet- und einem ROCAR-Obus ist der Parcours gesäumt von fahruntüchtigen deutschen Standardbussen neben einigen Ikarus-Exemplaren. Offenbar nicht mehr vorhanden sind die vier Gelenk-Obusse, die ab 1996 aus Kapfenberg übernommen worden waren und nach etlichen Jahren ausrangiert wurden. Nahe der Depoteinfahrt parken wohl die einsatzfähigen Fahrzeuge: Zu erkennen waren einige gepflegte Ikarus 260 und 280, ein Mercedes-Benz O 305 G, ein MAN SL der ersten Generation, drei oder vier Volvo-Gelenkbusse und ein Solowagen von verschiedenen Schweizer Betrieben sowie ein älteres französisches Exemplar (Saviem). Im Stadtverkehr fielen außerdem mindestens ein Mercedes-Benz O 305 sowie ein futuristisch gestylter ROMAN (Prototyp) auf. Rumänischen Quellen zufolge existiert auch in Mediaş ein BMC Probus gleichen Typs wie in Sibiu. Betriebsnummern scheinen in dem uneinheitlichen, überschaubaren Fahrzeugpark von „Meditur“ keine Rolle zu spielen, zumindest sind solche außen nicht sichtbar. Lediglich zwei Obusse sind offiziell als 655 und 661 beschriftet (neben den immer noch vorhandenen Nummern der Ursprungsbetriebe!). Auch lokale Sonderkennzeichen (vgl. Sibiu) werden bei den Obussen in Mediaş nicht verwendet.

 
 



Die Angaben in diesem Bericht basieren auf Beobachtungen am Ort im August 2010.
Alle Fotos wurden vom Autor aufgenommen. Eine Weiterverwendung bedarf der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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