Unterwegs: Der Nahverkehr in Timişoara (RO)


von Klaus Schameitat

(September 2009)

Timişoara liegt im äußersten Westen Rumäniens. Die Industriestadt gehört mit ihren rund 312.000 Einwohnern zu den größten des neuen EU-Staates und ist das Zentrum der historischen Landschaft Banat sowie Sitz des Kreises Timiş. Als Ausgangspunkt der Unruhen, die im Dezember 1989 zum Sturz des kommunistischen Diktators Ceauşescu führten, erlangte Timişoara besondere Bedeutung. Nach der erfolgreichen Ansiedlung zahlreicher internationaler Firmen erlebt die Region heute einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung. Vorbei sind die Zeiten der Repression und des fortschreitenden Verfalls. Insbesondere die großzügigen Plätze in der Altstadt mit ihren zahlreichen Jugendstilhäusern verströmen heute den Eindruck einer lebhaften und charmanten Kreisstadt der einstigen k.u.k.-Monarchie. Und in den weitläufigen Außenbezirken stößt man überall auf die stuckverzierten, meist ockerfarbigen Mietshäuser sowie einstöckigen Vorstadthäuser mit Innenhöfen, die so typisch für die Habsburger-Epoche waren. Nicht zu übersehen sind freilich auch die ausufernden Plattenbau-Ghettos, deren Existenz überhaupt erst die überraschend hohe Einwohnerzahl erklärt. Die völlig ebene Landschaft des Banat empfindet man als Fortsetzung der ungarischen Puszta beziehungsweise der serbischen Vojvodina auf rumänischem Boden. Vielfältige historische Beziehungen prägen das Dreiländereck. Neben Rumänisch sind auch die Sprachen Ungarisch, Deutsch sowie Serbisch in der Region präsent.


Eisenbahn

Die grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen sind indes noch unbefriedigend. Eine Eisenbahnverbindung hinüber in die ungarische Stadt Szeged gibt es nicht. Um überhaupt per Zug nach Ungarn zu gelangen, muss man zuerst bis nach Arad oder gar Oradea reisen. Nach Belgrad (ca. 170 km) geht lediglich ein einziger Zug morgens vor 6 Uhr, der dann am späten Nachmittag zurückfährt. Die Fahrt ist insbesondere auf serbischer Seite sehr zeitraubend, pro Strecke vier bis fünf Stunden. Für eine Bahnfahrt nach Bukarest benötigt man, nicht zuletzt wegen der gebirgigen Streckenabschnitte, einen ganzen Tag. Fast alle Züge fahren ab Timişoara-Nord.

Ungeachtet ihres insgesamt recht musealen Charakters ist die rumänische Eisenbahn (CFR) ein brauchbares Verkehrsmittel mit weitverzweigtem Streckennetz. Zumindest im Regionalverkehr kann man eine akzeptable Reisegeschwindigkeit und einen gewissen Komfort bei niedrigen Tarifen erwarten. Der Fahrplan weist hier neben den tatsächlich sehr langsamen Personenzügen auch Eil- und Schnellzüge aus. Im übrigen ist auch die 1. Klasse erschwinglich. Die modernen Desiro-Dieseltriebzüge (z.B. auf der Strecke Timişoara - Arad - Oradea) sind klimatisiert und wirken in den Dorfstationen unterwegs, wo die Schranken durchweg noch per Handbetrieb betätigt werden, wie Objekte von einem anderen Stern. Auch viele der äußerlich abgenutzt wirkenden Personenwaggons (darunter auch doppelstöckige) sind im Inneren gründlich renoviert worden. Einen ziemlich desolaten und schmutzigen Eindruck machen hingegen die Fernzüge mit zunehmender Fahrtdauer. Erwähnenswert sind schließlich noch die spartanisch möblierten Nahverkehrs- und Lokal-Triebwagen, unter denen die betagten Zweiachser-Paare (sog. „Ferkeltaxe“, z.B. von Timişoara nach Reşiţa) sogar echte Klassiker darstellen. Generell ist in Rumänien wegen unkalkulierbarer Schalterwartezeiten der Kauf der Fahrausweise vorab im innerstädtischen CFR-Büro ratsam.


Straßenbahn

Der Stadtverkehr in Timişoara obliegt der R.A.T.T. (Regia Autonomă de Transport Timişoara). Der Kommunalbetrieb umfasst die drei Zweige Straßenbahn, Obus und Bus, wobei die elektrischen Verkehrsmittel den Innenstadtbereich recht gut erschließen. Straßenbahnen rattern sogar mitten durch die historische Altstadt, und das bereits seit 1899. Als zweitgrößter Straßenbahnbetrieb Rumäniens verfügt die R.A.T.T. über 10 Linien, die in dichter Folge verkehren und deren Fahrer(innen) besonders in den Abendstunden einen sehr zügigen Fahrstil pflegen. Während die Weichen auf dem insgesamt 38 km umfassenden Netz allerorts noch mit Eisenstangen manuell umgestellt werden müssen, sind elektronische Anzeigetafeln an bedeutenderen Haltestellen schon keine Seltenheit mehr. Der Zustand der Gleise ist schlecht, aber wohl doch besser als in russischen und ukrainischen Städten. Es existieren zwei Betriebshöfe: Dâmboviţa und Take Ionescu; letzterer beiderseits der Straße.

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Eingesetzt werden heutzutage ausnahmslos Straßenbahnen, die aus Deutschland übernommen wurden. Die typischen Bremer Waggons dominieren im Stadtbild, weiterhin sind Bahnen aus München, Karlsruhe, Düsseldorf und Frankfurt/Main anzutreffen. Obwohl es noch vereinzelte deutsche Beschriftungen gibt, kann man den Herkunftsbetrieb nicht immer auf Anhieb erkennen. Rumänische Außenwerbungen sind einigermaßen verbreitet. Stets wurde nach osteuropäischer Gewohnheit bei den Triebwagen die Fahrerkabine und damit auch die Hälfte der Vordertür vom Fahrgastraum abgetrennt. Die ursprüngliche weiß-gelbe Farbgebung der R.A.T.T. wird seit 2006 sukzessiv durch die neue schwarz-weiß-violette abgelöst. Auffällig ist, dass alle Bahnen neben der vierstelligen Wagennummer (überwiegend 34xx bis 37xx) an der Front ein gelbes Schild mit einer fünfstelligen sogenannten Inventarnummer (00xxx) tragen, die offensichtlich sehr unsystematisch vergeben wird. Die früheren Timiş-Züge aus den örtlichen Werkstätten (dreistellige Wagennummern) sind inzwischen komplett ausrangiert. Tatra-Bahnen hat es nie gegeben. Im Jahre 2011 sollen nach derzeitigen Plänen moderne Citadis-Bahnen in Betrieb gehen. Eine Einzelfahrt beliebiger Länge kostet 1,60 Lei (knapp 0,40 Euro).


Obus

Die meisten rumänischen Obusbetriebe sind recht jung. Nur fünf Städte weisen einen Betrieb über mehrere Jahrzehnte auf. Die 1980er Jahre waren in Rumänien von extremer Devisen- und Energieknappheit geprägt. Als Abhilfe wurden damals einerseits die typischen ROMAN-Dieselbusse (Lizenz-Nachbau von MAN-Metrobussen) mit röhrenförmigen Methangas-Tanks auf den Dächern ausgestattet, andererseits wurden überall neue und zum Teil sehr kleine Obusnetze in Betrieb genommen. Zwischen 1983 und 1996 entstanden nicht weniger als 14 solcher Neuanlagen, von denen inzwischen bereits sechs schon wieder stillgelegt sind. Momentan gibt es insgesamt 13 aktive Systeme im Lande. Timişoara besitzt nach der Hauptstadt Bucureşti (Bukarest) den zweitgrößten Obusbetrieb und zugleich den ältesten bzw. ersten (eröffnet Ende 1942). Es verkehren insgesamt sechs Linien auf 24 Kilometern, verteilt auf zwei getrennte Teilnetze in den nördlichen und den südlichen Stadtteilen. Als Remise dient heutzutage der hintere Teil des Straßenbahndepots Dâmboviţa.

Die einst in großen Stückzahlen eingesetzten Obusse des einheimischen Fabrikats ROCAR (DAC112E ab 1974 und DAC117E ab 1982) erreichten keine sehr lange Einsatzdauer und wurden in den 1990er Jahren durch vielerlei gebrauchte Fahrzeuge aus Westeuropa ersetzt. Im einzelnen handelte es sich dabei um Ikarus 280T aus Eberswalde und Weimar, Gräf&Stift-Gelenkwagen aus Salzburg und Kapfenberg, Saurer aus Winterthur, Berliet bzw. Renault aus Lyon sowie drei Mercedes/Vetter VE16 aus Esslingen (ex Nr. 201, 203, 204 = Timişoara 91, 93, 92). Sie alle wurden spätestens im Frühjahr 2008 aus dem Verkehr gezogen und zum Teil im Depot Take Ionescu abgestellt. Lediglich der einstige Fahrschulwagen Nr. 14 (Berliet) steht nach wie vor im täglichen Einsatz. Seit nunmehr anderthalb Jahren besitzt die R.A.T.T. eine sehr moderne, vollkommen einheitliche Obusflotte, die aus exakt 50 klimatisierten Škoda 24Tr (Irisbus Citelis) mit Hilfsmotor besteht. Diese Anfang 2008 ausgelieferten Fahrzeuge tragen keine aufgemalten Betriebsnummern, sondern sind einzig und allein an den gelben Schildern mit den Inventarnummern 03001 bis 03050 zu unterscheiden. Werbeaufschriften wurden bislang nicht angebracht. Gelenk-Obusse gibt es in Timişoara nun nicht mehr.


Omnibus

zum Vergrößern bitte klicken zum Vergrößern bitte klicken Dieselbusse treten in der Innenstadt nur wenig in Erscheinung. Sie bedienen überwiegend den Stadtrand und die ländlich wirkenden Vororte. Seit Mitte 2005 wurden mindestens 50 EvoBus MB O 345 (Conecto) in Betrieb genommen, die nach wie vor einen sehr gepflegten Eindruck machen. Auch sie sind völlig identisch, tragen keine expliziten Wagennummern und sind nur an ihren polizeilichen Kennzeichen zu unterscheiden (es sind interessanterweise Bukarester Kennzeichen für Leasingfahrzeuge!). Daneben wird noch ein kunterbuntes Sammelsurium mehr oder weniger abgewirtschafteter Ikarus-Busse eingesetzt, überwiegend in der seltenen zweitürigen Solo-Version ohne Heckplattform. Unter den Ikarus-Gelenkbussen fallen ebenfalls Modelle mit lediglich drei oder gar zwei Türen auf. Vermutlich wurden viele aus der DDR übernommen. Im Gegensatz zu den modernen Bussen tragen die meisten Altfahrzeuge noch Wagennummern (Solobusse 2xx, Gelenkbusse 3xx). Die primitiv ausgestatteten ROCAR- bzw. DAC-Omnibusse sind in Timişoara komplett aus dem Straßenbild verschwunden. In anderen Städten Rumäniens sind sie aber nach wie vor im Einsatz. Bei einem Kurzbesuch in Oradea konnte sogar noch ein MAN-Metrobus als landestypischer Lizenznachbau (ROMAN) beobachtet werden.



Alle in diesem Artikel abgebildeten Fotos wurden von Klaus Schameitat im August 2009 aufgenommen.
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