Das stadtbus.de-Thema


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Von Ausschreibungen, Aufgabenträgern und Experten. Die Akteure im ÖPNV

von Dirk Dannenfeld

Das Thema ÖPNV verzeichnet ein wachsendes Interesse in der Öffentlichkeit. Und weil das so ist, bewegt sich der ÖPNV immer stärker im Spannungsfeld zwischen Verkehrsunternehmen, Verwaltung, Politik und teils selbsternannten Experten.

Bei dieser Kakophonie der Stimmen ist es sinnvoll, einmal die einzelnen am ÖPNV beteiligten Gruppen und ihre Interessen zu betrachten:

Da wäre zunächst einmal die lokale Politik: Verkehrsprobleme sind, das beweisen Umfragen immer wieder, DAS wichtigste Thema in den Städten und Gemeinden. Die Bürger erwarten von der Politik Lösungen. Nun ist Verkehr, und zumal ÖPNV, ein schwieriges Geschäft, das weder für den durchschnittlichen Lokalpolitiker, geschweige denn den Bürger, durchschaubar ist. Nur eins hat sich durchgesetzt: Einfach nur mehr Straßen bauen, bringt nichts... Vermarktungsfähige, sichtbare Tatsachen müssen also her, damit zu sehen ist, wie ernst die Lokalpolitik das Thema Verkehr nimmt. Nun gibt es in jedem Kreis ja z. B. aufgelassene Eisenbahnstrecken, und wenn man die wieder aufmöbelt und neue Triebwagen darauf fahren lässt, dann hat man genau dieses Musterstück. Und Kosten tut das nix, weil 85 Prozent der Baukosten sowieso von Land und Bund getragen werden. Darauf hinzuweisen, das das ja auch verschwendete Steuergelder sind, ist natürlich ketzerisch. Und von Betriebskosten, die jedes Jahr in Millionenhöhe aufgebracht werden müssen, will ich gar nicht erst anfangen...

Dann gibt es da die Verwaltungen. Grundsätzlich mit einem tiefen Misstrauen gegen alles ausgestattet, was nicht nach Dienstvorschrift abläuft. Insbesondere gegen Unternehmer, die vielleicht eine Mark zu viel erhalten könnten (zu fragen, wie viel sie selbst kosten und wie wenig sie bringen, ist natürlich wieder ketzerisch). Also muss die gesamte Kontrolle des ÖPNV unter die Fittiche der Verwaltung kommen, die sich dafür jetzt „Aufgabenträger“ nennt. Nur sie wüssten, wie man wo wie viel ÖPNV einsetzen müsste. Wirklich? Die wenigsten Bürokraten sind selbst ÖPNV-Nutzer, und das Geld kommt ja vom Steuerzahler (den man zur Not noch weiter schröpfen kann, wie die Bundesregierung gerade wieder einmal vormacht), also kann man es rauspulvern. So fährt in einem Baden-Württembergischen Landkreis ein von diesem Besteller und als „Modell“ gepriesener Zug (mit entsprechenden Zubringerbussen) in den Ferien gerade mal mit 20 Leuten besetzt (am Tag – nicht pro Fahrt, wohlgemerkt). In den Schulzeiten hat er zwar mehr Fahrgäste, aber die werden mit Bussen zum Zug gebracht, die die ganze Zeit neben dem Zug herfahren und ihn „füttern“.

Wer kommt auf solche Ideen? Nun, damit wären wir beim wohl einflussreichsten Mitspieler angelangt: der Öko-Lobby. Die hat die Verkehrspolitik zu ihrer heiligen Aufgabe und sich selbst zum einzigen Kompetenzträger erklärt. Ihre wichtigste Spielwiese ist dabei der ÖPNV. Auch wenn sich nennenswerte Fahrgastverlagerungen gerade im ländlichen Bereich gar nicht einstellen können, es fehlen einfach die Verkehrsströme dort und die, die vorhanden sind, sind so diffus, dass sie nur bedingt wirtschaftlich mit dem ÖPNV abgedeckt werden kann – aber Ideologie war auf dieser Seite immer wichtiger als Fakten.

So touren selbsternannte „Nahverkehrsberater“ durch Deutschland und erklären den Kommunen und Landkreisen, sie seien die besseren Verkehrsunternehmer – mit den oben angesprochenen Folgen. Das Patentrezept haben sie auch schon dabei: Ausschreibungen. Das heißt, die Bürokratie bekommt die gesamte Kontrolle über den ÖPNV und teilt den Verkehrsunternehmen mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken die Fahrleistungen zu. Die Folgen davon sind klar: Nicht mehr die Verkehrsunternehmen, die viel näher am Kunden sind und den ÖPNV ja schon aus Gründen der Einnahmesicherung optimieren müssen, verantworten die Verkehre, sondern Bürokraten am berühmten Grünen Tisch. Aufwendige Planungs- und Kontrollbürokratien kosten Millionen, die viel besser ins Verkehrsangebot fließen könnten.

Aber, so verteidigt man dieses Modell unisono, das bringe Fahrgäste und senke dramatisch Kosten. Die Realität zeigt uns das Gegenteil: In Kopenhagen, wo solch ein System bereits seit zehn Jahren implemetiert ist, sind die Fahrgastzahlen sogar um 7 Prozent gesunken. Die Preise sind zwar zunächst gefallen, aber nur, weil ein Unternehmen (bezeichnenderweise ein Staatsbetrieb) in Kamikaze-Manier alle anderen unterboten und in den Ruin getrieben hat. Jetzt ist dieses Unternehmen selbst pleite und die Buspreise nähern sich wieder dem Niveau vor Ausschreibungsbeginn. Aber die Ideologie... - das hatten wir schon.

War da noch was? Ach ja, Verkehrsunternehmen gibt es ja auch noch. Man könnte fast meinen, Politik, Verwaltung und Öko-Lobby könnten das alles selbst. Und tatsächlich: In der Hessischen ÖPNV-Politik kommen sie z. B. schon gar nicht mehr vor. Wenn es nach Verwaltung und linker Öko-Lobby in ihrem tiefen Misstrauen gegen jede Art unternehmerischer Freiheit geht, dürfen die Unternehmen gerade mal noch fahren. Planerische oder gar unternehmerische Verantwortung hat man längst als hoheitliche Aufgaben vereinnahmt.

Die schöne neue Welt des ÖPNV. Aber macht sie wirklich Sinn? Schon heute wird das Initiativpotential von Bürgern und Unternehmen durch Überregulierung und eine erdrückende Steuer- und Abgabenlast gehemmt, das soziale Netz ist zur sozialen Hängematte verkommen. Aber anstatt im ÖPNV ein Zeichen zu setzen und mehr Verantwortung wieder auf Bürger und Unternehmen zu verlagern, sollen durch eine effektive Verstaatlichung der Verantwortung für den ÖPNV die Bemühungen um einen schlanken Staat ad absurdum geführt werden. Nein: Die Marktverantwortung für den ÖPNV muss weiterhin bei den Verkehrsunternehmen angesiedelt sein. Denn nur sie wissen, was der Markt verlangt. Die Bürokratie muss sich auf strategische und konzeptionelle Aufgaben beschränken, ansonsten besteht wirklich die Gefahr, dass der ÖPNV in Zukunft von Behörden aufoktroyiert wird und Kundennähe und Wirtschaftlichkeit keine Rolle mehr spielen.

Noch ist es nicht zu spät, aber die Politik muss jetzt handeln, um ein langfristig finanzierbares, bürgerfreundliches und vor allem bedarfsgerechtes ÖPNV-System in Deutschland zu erhalten.


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