Das stadtbus.de-Thema


Unter der Rubrik "Das stadtbus.de-Thema" wird in unregelmäßigen Abständen ein aktuelles Thema aus dem Omnibusbereich kommentiert. Zur weitergehenden Diskussionen der Leser zum jeweiligen Kommentar steht die stadtbus.de-Mailingliste zur Verfügung. Bitte beachten Sie, dass der Kommentar die Meinung des Verfassers widergibt, nicht jedoch die der stadtbus.de-Redaktion.


„Route Branding”: Ein Plädoyer für stärkere Produktbildung im Busverkehr

von Stefan Baguette

Mit der Liberalisierung des europäischen Omnibusmarktes und dem dadurch entstehenden Wettbewerb sowie der Unsicherheit über die zukünftige Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs stehen derzeit in Deutschland sowohl Verkehrsunternehmen als auch die Aufgabenträger vor neuen Herausforderungen – aber auch vor neuen Chancen.

Die Beteiligten sehen sich dabei unter anderem mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert, wie die Kompetenzen im deutschen Omnibusmarkt in Zukunft verteilt sein sollen. Ins Ausland blickend präsentieren sich den Entscheidungsträgern verschiedenste Modelle zwischen dem beispielsweise in Skandinavien – und inzwischen auch in Hessen – praktizierten reinen Ausschreibungswettbewerb und Ansätzen, die wesentlich mehr unternehmerische Freiheit erlauben. Letzteres ist vornehmlich in Großbritannien außerhalb der Hauptstadt London der Fall, wo die konservative Regierung in den 80er Jahren den Busverkehr vollständig deregulierte.

Das britische Modell wird nicht selten als abschreckendes Beispiel verwendet und gilt auch im eigenen Land angesichts insgesamt stagnierender oder sinkender Fahrgastzahlen als nicht uneingeschränkt gelungen. Diese vereinfachende Gesamtsicht täuscht jedoch darüber hinweg, dass dank gegebener unternehmerischer Freiheit und unmittelbarem Wettbewerb an vielen Orten exzellenter und erfolgreicher Busverkehr geboten wird, der oftmals in Deutschland übliche Praktiken in den Schatten stellt und durchaus in der Lage ist, Autofahrer zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen.

Zentraler Faktor ist in diesen Fällen die Erkenntnis, dass Busverkehre genauso wie Waren des Einzelhandels Produkte sind und entsprechend dem Kunden verkauft werden müssen. Pionier der daraus resultierenden Marktauftritte war das unabhängige Busunternehmen Trent Barton in den East Midlands – siehe auch das stadtbus.de-Dossier von Dirk Dannenfeld –, inzwischen sind entsprechende Praktiken jedoch auch bei anderen Unternehmen üblich. Neben einer Reihe von unabhängigen Unternehmen gehören dazu auch mehrere der eigenständig operierenden Gesellschaften der Go-Ahead-Gruppe sowie Stagecoach, das mit über 7.000 Fahrzeugen zweitgrößte Busunternehmen des Landes, das zusätzlich zu einem national einheitlichen Gesamtauftritt inzwischen konsequent auf lokal zugeschnittene Linienprodukte setzt. Gemeinsam ist ihnen der Erfolg dieser Produkte, besonders im Hinblick auf Fahrgastzuwächse und Werbung neuer Kunden.

Die Bildung solcher eigenständigen Marken – im Englischen ist hierfür der Begriff des ‚route branding' geläufig – setzt darauf, dass einzelne Linien als Marke zu erkennen sind und so nicht nur für bestehende Nutzer klar zu identifizieren sind, sondern auch für potentielle Neukunden beworben werden. Unangetastet bleibt dabei nichts, denn die Lackierung kann genauso individualisiert werden wie eine Linienbezeichnung oder gar das Fahrzeugdesign.

In Deutschland ist eine solche Produktbildung bisweilen praktisch ausschließlich auf Stadtbussysteme in Kleinstädten beschränkt. Innerhalb von größeren Netzgefügen ist sie hingegen praktisch nicht anzutreffen, da hier einer vermeintlich einheitlichen Identität der Vorzug gegeben wird, deren Wirkung jedoch oft nicht nur angesichts von immer großflächigerer Werbung angezweifelt werden darf. Damit wird oft die Chance vergeben, ein besonderes Produkt zu bewerben und Autofahrer beispielsweise auf eine attraktive Schnellbuslinie oder eine Direktverbindung zu einem Flughafen aufmerksam zu machen. Vielerorts verstecken sich diese hinter alltäglichen Fahrzeugen mit unauffälligen Liniennummern. Auch die vor allem in Verkehrsverbünden erster Generation übliche Praxis, drei- oder gar vierstellige Liniennummern zu verwenden, dürfte Gelegenheitsnutzer und potentielle Neukunden eher verwirren als zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel animieren. Mit einer Linie 7385, die drei unterschiedliche Strecken befährt, lassen sich genauso wenig Kunden gewinnen wie mit einer Hauptroute, die sich dem Fahrgast mit den Identitäten 416, 426, 442 und 446 präsentiert, auch wenn sie für den so Verschreckten eigentlich nur eine einzige Linie darstellt.

Nicht jede Buslinie ist gleich und nicht immer ist das Netz wichtiger als die einzelne Linie – gerade im Regionalverkehr könnte der Busverkehr seine Stärken vielerorts besser ausspielen, wenn für den Laien ein auf einer attraktiven Verbindung eingesetzter komfortabler Bus nicht genauso aussähe wie jeder auf verschlungenem Weg dahergefahrene Schulbus. Hier birgt die klare Vermarktung einzelner Linien daher große Wachstumspotentiale. An anderen Orten müsste ein lokales Netz oder ein Teilnetz hervorgehoben werden, mitunter auch in Kombination mit der klaren Identifizierung bestimmter Linien innerhalb dieser Netze. Es gilt daher zunächst herauszufinden, um was für Linien es sich eigentlich handelt und diese dann im zweiten Schritt so zu „verkaufen”, dass möglichst viele Kunden und vor allem neue Kunden sich für das Produkt entscheiden. Vollkommen einheitliche Farbgebungen – teilweise sogar für ganze Regionen – können das nicht.

Sowohl der zunehmende Wettbewerb – gerade angesichts der Möglichkeit eigenwirtschaftlicher Erbringung von Leistungen – als auch die zunehmenden finanziellen Probleme und damit die Notwendigkeit, neue Kunden zu gewinnen, werden eine stärkere Kundenorientierung auch im deutschen Busverkehr nötig machen. Verständliche und attraktive Produktbildung kann dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Gleichzeitig gilt es aber auch, gerade im tariflichen Sinne erfolgreiche bestehende Systeme wie Verkehrsverbünde nicht zu sehr zu fragmentieren, sondern Produkte innerhalb dieser Gefüge zu positionieren und dabei die Stärken beider Seiten zu kombinieren.

Dies ist jedoch nicht möglich, wenn sich Aufgabenträger nicht auf Kernkompetenzen wie beispielsweise unternehmensübergreifende Tarifsysteme beschränken und stattdessen versuchen, den Busverkehr vom ortsfernen Büro aus bis ins letzte Detail auszugestalten. Auf der anderen Seite bedarf eine jede Kombination der natürlichen Stärken von Aufgabenträgern und Busbetrieben auch Initiative letzterer in einem Maße, wie sie in Deutschland über weite Strecken nicht oder nicht mehr üblich ist. Die Metrobus-Netze in Hamburg, Berlin und München sind ein genauso guter Ansatz wie gut vermarktete Stadtbusnetze oder Schnellbuslinien mit individueller Identität, egal ob sie eXpresso, TXL oder EuroSchnellBus heißen. Doch diese Ansätze haben alle gemeinsam, dass sie nicht vollkommen konsequent umgesetzt sind und sämtlich noch besser am Markt platziert werden könnten – und dass es noch lange nicht genug von ihnen gibt.

 
„Route Branding” in der Praxis: Das stadtbus.de-Dossier stellt fünf erfolgreiche Beispiele aus Großbritannien vor.


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