Das stadtbus.de-Thema


Unter der Rubrik "Das stadtbus.de-Thema" wird in unregelmäßigen Abständen ein aktuelles Thema aus dem Omnibusbereich kommentiert. Zur weitergehenden Diskussionen der Leser zum jeweiligen Kommentar steht die stadtbus.de-Mailingliste zur Verfügung. Bitte beachten Sie, dass der Kommentar die Meinung des Verfassers widergibt, nicht jedoch die der stadtbus.de-Redaktion.


Die Zukunft des Nahverkehrs - andere Fahrgäste durch den demografischen Wandel

von Jens Gerwien

"Wenn die Alten Schulbus fahren..."
Es ist mittlerweile statistisch belegbar: die Schülerzahlen sinken in den kommenden Jahren rapide, der Anteil der Älteren in der Bevölkerung steigt aber gleichzeitig aus verschiedenen Gründen mindestens eben so stark. Verkehre in der Fläche sind aber bisher primär am Schülerverkehr orientiert, häufig gibt es über dieses Angebot hinaus keine Fahrten. Es besteht in Zukunft also Handlungsbedarf im ÖPNV. Um Ausmaß und Möglichkeiten dieser Veränderungen zu betrachten, veranstaltete die Landesweite Verkehrs-Servicegesellschaft für Schleswig-Holstein (LVS) einen Kongress in Kiel unter dem Motto "Wenn die Alten Schulbus fahren..."

Wenn die Schülerbeförderung wegbricht, ist aufgrund der neuen Rahmenbedingungen zeitig zu anderen Konzepten zu greifen, um der gleichzeitig wachsenden zweiten Zielgruppe der Senioren ein attraktives ÖPNV-Angebot unterbreiten zu können. Denn diese Gruppe möchte nicht nur morgens und mittags zu recht starren Zeiten den Bus nutzen. Um das notwendige Angebot trotz knapperer finanzieller Mittel realisieren zu können, sind rechtzeitige Betrachtungen der Bevölkerungsentwicklung und somit der Zielgruppe notwendig.

Die erfolgte Kommunalisierung der ÖPNV-Mittel ist ein wichtiger Schritt, um hier zielgerichtet investieren zu können - wichtig ist aber hierbei, dass der Einsatz dieser Mittel effektiv erfolgt. Dies kann nur vor Ort durch eine lokale Betrachtung erfolgen - durch die einzelnen Kommunen und unter Einbeziehung aller betroffenen Parteien - neben den Schulträgern durchaus auch andere öffentliche Einrichtungen.

Berücksichtigung in Nahverkehrsplänen
Zahlen aus örtlichen Erhebungen müssen einfließen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Derzeit zeichnet sich ein Trend ab, dass der Individualverkehr mit eigenem PKW weiterhin steigt. Hierzu tragen auch frischgebackene Rentner bei, die sich im Ruhestand endlich das Traumauto zulegen, weil sie nun Zeit dafür haben. Allerdings steigt künftig auch die Zahl der älteren Rentner, die irgendwann nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug sicher zu führen - aber auch diese wollen mobil bleiben. Daher ist bei statistischen Erhebungen die Differenzierung der Rentner in die Altersgruppen unter und ab 75 ratsam, um das Potenzial besser in die Planungen einbeziehen zu können.

Wichtig ist, dass alle Beteiligten die Notwendigkeit sehen, diese demographischen Faktoren in die Gestaltung des örtlichen Nahverkehrsplanes einfließen zu lassen. Sehr hilfreich sind hier auch umfangreiche Umfragen bei Nutzern und Nicht-Nutzern, um Wahrnehmungen der verschiedenen Zielgruppen zu erhalten. Schon hierbei offenbart sich schnell der Widerspruch "Flächendeckung" zu "dichtem Takt". Diesen Konflikt gilt es dann, bestmöglich zu einem Kompromiss zu führen, der den ÖPNV für möglichst viele akzeptabel macht.

Beste Grundlage für einen funktionierenden Nahverkehrsplan ist hierbei häufig eine klare Aufgabenverteilung mit einem Besteller-Erbringer-System, da dieses flexibler und transparenter ist. Hier können über Bonus-Malus-Systeme Anreize geschaffen werden, die vereinbarten Leistungen auch in der vereinbarten Qualität zu erbringen, um so den ÖPNV zu einer akzeptablen Alternative zum Individualverkehr zu machen.

Der Flexibus von Sales-Lentz in Luxemburg - ein geeignetes Modell?
Eine interessante Alternative zu den herkömmlichen Bedienungsformen könnte hierzulande auch ein in Luxemburg von Sales-Lentz erfolgreich praktiziertes System sein. Dort verkehrt in mehreren Gemeinden ein Flexibus, der sich dadurch auszeichnet, dass es keine Haltestellen und keinen Fahrplan gibt. Stattdessen greift man auf das Grundkonzept des dort im Nachtbetrieb angewandten "night rider"-Systems zurück, das eine Haus-zu-Haus-Bedienung unter Bündelung mehrerer gleichartiger Fahrtwünsche bietet. Über eine kostenlose Rufnummer kann quasi ohne Vorlaufzeit der Fahrtwunsch aufgegeben werden - über eine Software, die permanent die Routen der eingesetzten Flexibusse prüft und ggf. anpasst, werden alle Fahrten nach Möglichkeit gebündelt. Der Erfolg gibt den Betreibern recht, in dem luxemburgischen Ort Mersch (7.500 Einwohner) mit einer Größe von etwa 50 qkm konnten beispielsweise mit zwei Fahrzeugen 106.000 Strecken-km für 46.000 Nutzer in einem Jahr verzeichnet werden. Statistisch hat also jeder Einwohner das Angebot etwa sechs Mal genutzt - knapp die Hälfte, um innerhalb der Gemeinde einkaufen zu können, ein weiteres Viertel, um die Linien des regulären, weiterführenden ÖPNV zu erreichen und umgekehrt. Für einen Preis von zwei bis drei Euro mit Rabatten für ÖPNV-Nutzer und Vielfahrer ergibt sich so eine sehr gute Mobilität innerhalb der Gemeinde.

Allerdings kommt dieses System nicht ohne Zuschüsse aus. Die positive Entwicklung des örtlichen Einzelhandels macht diese Kosten aber vertretbar, zumal auch noch Spielraum durch die Definition der Bedienungszeiten und die Fahrzeuganzahl besteht, um die Kosten für die öffentliche Hand einzudämmen. Effektiver als bei starren Linienverkehren ist der Zuschuss hier auf jeden Fall eingesetzt. In Mersch trifft dies zu: einer Umfrage zufolge ist für 42 % der Einwohner der Flexibus eine brauchbare Alternative zur Nutzung des PKW.

Das Modell Flexibus klingt interessant, ist es doch noch etwas flexibler als die Anrufbus- oder Sammeltaxi-Systeme, die man allgemein schon kennt. Ob es allerdings das Wundermittel ist, um auch in Zukunft die Mobilität in der Fläche für die veränderte Hauptzielgruppe zu gewährleisten, muss sicher jeweils vor Ort entschieden werden. Eine lokale Auswertung aller Faktoren ist hier unerlässlich, denn fest steht global nur eines: der Anteil der Älteren an der Bevölkerung wird kräftig zunehmen und die Zahl der Schüler einbrechen - insofern wird jeder Verkehrsplaner bei sich vor Ort diese Faktoren bei künftigen Nahverkehrsplänen individuell berücksichtigen müssen.

Links zum Thema:
Wegweiser demographischer Wandel
Flexibus Luxemburg | Sales-Lentz
LVS Landesweite Verkehrs-Servicegesellschaft Schleswig-Holstein


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 • 11/2004: Der Omnibusmarkt in Deutschland - eine Bestandsaufnahme
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 • 01/2003: Das langsame Ende des Kombibusses
 • 12/2002: Alternative Antriebe - eine Zwischenbilanz
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